Wir sind „zu Hause“. Ein richtiges Zuhause haben wir ja im Moment nicht. Aber wir sind in der Stadt, in der wir vor unserer Reise eine Wohnung hatten. Wo Freunde sind.
Bis wir ein Haus gefunden haben, müssen wir nicht im Bus auf irgendeinem Parkplatz verbringen. Auch müssen wir keine Sofas von Freunden okkupieren. Vor wenigen Tagen schrieb Axel im PS einer Mail, dass wir erst einmal in seine Aachener Wohnung ziehen können wenn wir noch nichts haben… er braucht sie in den nächsten Monaten nur selten. Großartig!
Und so stehe ich nach unserer Ankunft in dem kleinen Garten der besagten Wohnung, schaue auf die Altbauten um mich herum, Loukas liegt im Gras und hinter mir im Wohnzimmer surrt ein Fernseher. Das zu fassen fällt mir schwer.
Mir wird ein bisschen schwindelig. In Gedanken gehe ich die letzten Wochen zurück. Vor vier Wochen haben wir Kirgistan verlassen. Es ist gerade einmal vier Wochen her und fühlt sich schon heute irgendwie unwirklich an. Wahrscheinlich weil Welten dazwischen liegen. Mit jedem Kilometer wurden das Wetter schlechter, die Straßen besser, die Einkaufsmärkte größer, das Gefühl der Kontrolle durch die Polizei kleiner, die Autos neuer. Die Landstraßen und Dorfplätze zeigten immer seltener Hirten die Schafe hüten, Cowboys die Kühe treiben, Omis die Pilze verkaufen, Frauen und Kinder die ihre Eimer mit Trinkwasser füllen. Mehr und mehr wird der Mensch zum bedeutungslosen Element in der Landschaft. Er huscht von A nach B. Mehr nicht.
Dann die EU. Reiche EU. Auch in Litauen wurde das sofort sichtbar. Keine Grenzen („Sylvia, hast du die Papiere klar?“ „Ja, alles hier auf meinem Schoß.“ „Da kommt die Grenze. Hier. Hä? Nee. Das war sie schon. Wir sind in Lettland!“). Dann Deutschland. Noch bessere Straßen. Dachte gar nicht, dass das geht. Als ein Schild „Achtung Bodenwelle“ vor einer kaum spürbaren Fahrbahnunebenheit warnte, lachten Karsten und ich laut auf.
In Berlin besuchten wir Helen und trafen Guido. Berlin ist bunt, geschäftig und dabei entspannt (verglichen mit Almaty zum Beispiel). Meine erste TAZ am Morgen, eine überfordernde Auswahl an Brötchensorten und ein Wannenvollbad. Helen hatte den schweren Stand, die erste Freundin zu sein, der ich nach elf Monaten begegnet bin. Unentwegt quatschte ich sie zu. Meine ersten Termine seit einem Jahr waren ein Friseurbesuch, Helen von der U-Bahn abholen und Guido in der Kneipe treffen. Eine echte Herausforderung, wie ich finde. Mir ist aufgefallen, dass die Uhr in den letzten Monaten mehr theoretisches Beiwerk war (oh, schon elf Uhr… lass uns mal fahren) anstatt einen wirklichen Nutzen zu haben.
Im Harz zeigten Frank und Katharina uns die Westernstadt Pullman City Harz. Wir aßen Steak, tranken Bier aus Pitschern und hörten das Live-Konzert einer Country-Band. Die richtigen Freaks verkleideten sich als Cowboys oder Scheriff. Ein echt schräges Erlebnis, wenn man geradewegs aus Moskau kommt. Der Abend war saulustig und spätestens bei „Take us home, Country roads“ grölten Karsten und ich laut mit. Auf der Campingwiese hatte ich dann das erste urdeutsche zwischenmenschliche Erlebnis. Ein Herr fand, dass Hunde per se angeleint gehören. Auch auf fast menschenleeren großen Wiesen. Nicht, weil er den Hunden ihren Spaß nicht gönnt oder weil die Leinenpflicht das in Deutschland vorschreibt. Sondern weil sein Dobermann andere Rüden beißt. Alle Anderen sollen also ihre Hunde anleinen, weil sein Hund beißt.
Und nun stehe ich in diesem Garten und mir ist immer noch schwindelig. Wohnungssuche koordinieren, Häuser besichtigen, Klamotten bei Eva und Peter abholen (endlich mal wieder ein anderes Outfit!), Freunde sehen, reden… reden… reden. Ich gebe zu, mich fordert das Heimkehren nun doch mehr als ich dachte. Dafür hab ich mir auch gleich die erste Erkältung seit einem Jahr eingefangen. Halsschmerzen, Husten, Schnupfen. Vielleicht ist mir auch deswegen gerade so schwindelig.